Warum Makler-Bewertungen nicht als Werte für Gutachten anzusehen sind: Der Interessenskonflikt
Veröffentlicht von Immowert Kanzlei – Catarina Günther, DEKRA-zertifizierte Sachverständige für Immobilienbewertung D1 & D1 Plus
Einleitung
Im Immobilienbereich begegnet man häufig der Situation, dass Makler kostenlose Bewertungen anbieten oder ihre Einschätzungen als „Marktwertgutachten“ bezeichnen. Für Immobilieneigentümer mag dies verlockend erscheinen – eine schnelle, kostenlose Bewertung vom Fachmann. Doch als DEKRA-zertifizierte Sachverständige für Immobilienbewertung muss ich Sie eindringlich vor den Risiken warnen, die mit Makler-Bewertungen verbunden sind.
Der Grund liegt in einem fundamentalen Interessenskonflikt: Makler sind Verkaufsexperten, deren Einkommen direkt von erfolgreichen Transaktionen abhängt. Diese wirtschaftliche Abhängigkeit beeinflusst zwangsläufig ihre Bewertungen und macht sie für objektive Wertermittlungen ungeeignet. In diesem ausführlichen Artikel erkläre ich Ihnen, warum Makler-Bewertungen strukturell nicht neutral sein können, welche Auswirkungen dies hat und warum für rechtliche und finanzielle Entscheidungen ausschließlich unabhängige Sachverständigengutachten verwendet werden sollten.
Der strukturelle Interessenskonflikt
Das Geschäftsmodell von Immobilienmaklern
Immobilienmakler verdienen ihr Geld durch Provisionen, die nur bei erfolgreichen Verkäufen oder Vermietungen anfallen. Diese Provision beträgt in Deutschland typischerweise 3 bis 7 Prozent des Verkaufspreises. Je höher der erzielte Verkaufspreis, desto höher die Provision des Maklers. Dieser direkte Zusammenhang zwischen Verkaufspreis und Einkommen schafft einen strukturellen Anreiz, Immobilien eher höher zu bewerten.
Gleichzeitig müssen Makler aber auch verkaufbare Preise ansetzen, da überteuerte Immobilien schwer vermittelbar sind. Sie bewegen sich daher in einem Spannungsfeld zwischen der Maximierung des Verkaufspreises (und damit ihrer Provision) und der Verkaufbarkeit der Immobilie. Diese Interessenlage ist mit einer objektiven, neutralen Bewertung nicht vereinbar.
Akquisitionsinstrument statt objektive Bewertung
Viele Makler nutzen kostenlose Bewertungen als Akquisitionsinstrument, um neue Mandate zu gewinnen. Das Ziel ist nicht die objektive Wertermittlung, sondern die Überzeugung des Eigentümers, den Verkaufsauftrag zu erteilen. In diesem Kontext neigen Makler dazu, optimistische Bewertungen abzugeben, um sich gegenüber der Konkurrenz zu positionieren.
Diese Praxis führt zu einer systematischen Verzerrung der Bewertungen nach oben. Eigentümer erhalten oft mehrere Makler-Bewertungen und tendieren dazu, den Makler mit der höchsten Bewertung zu beauftragen – ein Mechanismus, der ehrliche, realistische Bewertungen bestraft und überhöhte Einschätzungen belohnt.
Fehlende Unabhängigkeit
Unabhängigkeit ist ein Grundprinzip seriöser Immobilienbewertung. Ein unabhängiger Sachverständiger hat kein wirtschaftliches Interesse am Bewertungsergebnis und kann daher objektiv bewerten. Makler hingegen sind per Definition nicht unabhängig, da ihr Einkommen direkt vom Verkaufserfolg abhängt.
Diese fehlende Unabhängigkeit disqualifiziert Makler-Bewertungen für alle Zwecke, bei denen objektive, neutrale Wertermittlungen erforderlich sind. Dazu gehören gerichtliche Verfahren, Erbschaftsangelegenheiten, Scheidungen, steuerliche Bewertungen und Finanzierungen.
Qualifikationsunterschiede
Ausbildung und Zertifizierung
Während öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige oder DEKRA-zertifizierte Sachverständige eine umfassende Ausbildung in Immobilienbewertung absolviert haben, ist die Ausbildung von Immobilienmaklern primär auf Verkauf und Vermittlung ausgerichtet. Die Immobilienbewertung ist nur ein Teilbereich ihrer Tätigkeit.
Sachverständige müssen ihre Kompetenz in regelmäßigen Prüfungen nachweisen und sich kontinuierlich fortbilden. Sie sind an strenge Bewertungsstandards gebunden und müssen ihre Bewertungen nach wissenschaftlichen Methoden durchführen. Makler unterliegen diesen Anforderungen nicht.
Bewertungsmethodik
Professionelle Sachverständige wenden die in der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) definierten Bewertungsverfahren an: Vergleichswertverfahren, Ertragswertverfahren und Sachwertverfahren. Diese Verfahren sind wissenschaftlich fundiert und rechtlich anerkannt.
Makler verwenden oft vereinfachte Bewertungsmethoden, die auf ihrer Markterfahrung basieren. Diese Methoden mögen für Verkaufszwecke ausreichen, entsprechen aber nicht den Standards professioneller Immobilienbewertung.
Zugang zu Daten
Öffentlich bestellte Sachverständige haben Zugang zu amtlichen Datenquellen, einschließlich der Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse. Diese Daten enthalten tatsächliche Verkaufspreise und sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Makler stützen sich hauptsächlich auf ihre eigenen Verkaufserfahrungen und öffentlich verfügbare Daten. Ihr Datenbestand ist daher weniger umfassend und möglicherweise verzerrt durch ihre spezifische Markttätigkeit.
Praktische Auswirkungen des Interessenskonflikts
Überhöhte Bewertungen
Studien zeigen, dass Makler-Bewertungen systematisch über den tatsächlichen Marktwerten liegen. Eine Untersuchung des Instituts für Immobilienwirtschaft ergab, dass Makler-Bewertungen im Durchschnitt 8 bis 15 Prozent über den von unabhängigen Sachverständigen ermittelten Verkehrswerten lagen.
Diese Überbewertungen haben verschiedene negative Konsequenzen:
Längere Vermarktungszeiten: Überteuerte Immobilien bleiben länger am Markt, da sie für die meisten Interessenten unattraktiv sind.
Preisreduzierungen: Nach erfolglosen Vermarktungsversuchen müssen die Preise oft deutlich reduziert werden, was für Verkäufer frustrierend ist.
Verpasste Chancen: In der Zeit der erfolglosen Vermarktung können sich Marktbedingungen verschlechtern, sodass letztendlich niedrigere Preise erzielt werden als bei einer realistischen Anfangsbewertung.
Falsche Erwartungen
Überhöhte Makler-Bewertungen wecken unrealistische Erwartungen bei Immobilieneigentümern. Diese Erwartungen können zu irrationalen Entscheidungen führen:
Ablehnung angemessener Angebote: Verkäufer lehnen realistische Kaufangebote ab, weil sie auf überhöhte Bewertungen vertrauen.
Fehlende Kompromissbereitschaft: Überhöhte Bewertungen reduzieren die Bereitschaft zu Preisverhandlungen.
Enttäuschung und Vertrauensverlust: Wenn die Realität den Erwartungen nicht entspricht, führt dies zu Enttäuschung und Vertrauensverlust.
Rechtliche Probleme
Makler-Bewertungen werden von Gerichten, Behörden und Finanzinstituten nicht als objektive Wertgutachten anerkannt. Die Verwendung von Makler-Bewertungen für rechtliche Zwecke kann zu Problemen führen:
Gerichtliche Verfahren: Gerichte akzeptieren Makler-Bewertungen nicht als Sachverständigengutachten.
Steuerliche Bewertungen: Finanzämter erkennen Makler-Bewertungen nicht als Nachweis für Verkehrswerte an.
Finanzierung: Banken verwenden für Beleihungswertermittlungen eigene oder unabhängige Bewertungen, nicht Makler-Einschätzungen.
Konkrete Beispiele aus der Praxis
Fall 1: Einfamilienhaus in Suburbia
Ein Einfamilienhaus wurde von drei verschiedenen Maklern bewertet. Die Bewertungen lagen zwischen 380.000 und 420.000 Euro. Alle Makler warben um den Verkaufsauftrag und versprachen, diese Preise erzielen zu können.
Das anschließend erstellte Sachverständigengutachten ergab einen Verkehrswert von 340.000 Euro. Der Eigentümer entschied sich dennoch für den Makler mit der höchsten Bewertung. Nach acht Monaten erfolgloser Vermarktung wurde der Preis auf 350.000 Euro reduziert, nach weiteren vier Monaten auf 335.000 Euro. Letztendlich wurde das Haus für 330.000 Euro verkauft – 90.000 Euro unter der ursprünglichen Makler-Bewertung.
Die lange Vermarktungszeit verursachte zusätzliche Kosten für Instandhaltung und Versicherung. Hätte der Eigentümer von Anfang an eine realistische Bewertung gehabt, wäre das Haus schneller und möglicherweise zu einem besseren Preis verkauft worden.
Fall 2: Eigentumswohnung in Innenstadtlage
Eine Eigentumswohnung wurde von einem Makler mit 250.000 Euro bewertet. Der Makler argumentierte mit der attraktiven Innenstadtlage und der hohen Nachfrage nach Stadtwohnungen.
Ein unabhängiges Sachverständigengutachten ergab jedoch nur 210.000 Euro. Der Grund: Die Wohnung lag im Erdgeschoss zur Hauptstraße und war erheblich lärmbelastet. Außerdem war sie sehr hellhörig und hatte keinen Balkon. Diese negativen Faktoren hatte der Makler in seiner Bewertung nicht angemessen berücksichtigt.
Fall 3: Mehrfamilienhaus als Kapitalanlage
Ein Mehrfamilienhaus wurde von einem Makler mit 580.000 Euro bewertet. Der Makler betonte das hohe Ertragspotential und die stabile Vermietungssituation.
Das Sachverständigengutachten ergab jedoch nur 480.000 Euro. Die Analyse zeigte, dass ein erheblicher Sanierungsstau bestand und mehrere Wohnungen unter Marktmiete vermietet waren. Die Mietverträge waren langfristig gebunden, sodass kurzfristig keine Mieterhöhungen möglich waren.
Der Makler hatte diese Faktoren nicht ausreichend berücksichtigt, da sie seinem Verkaufsinteresse entgegenstanden.
Warum Makler-Bewertungen für Gutachten ungeeignet sind
Fehlende Rechtssicherheit
Makler-Bewertungen haben keine rechtliche Bindungswirkung und werden von Gerichten nicht als Sachverständigengutachten anerkannt. Für alle rechtlichen Verfahren sind unabhängige Sachverständigengutachten erforderlich.
Mangelnde Nachvollziehbarkeit
Professionelle Gutachten dokumentieren alle Bewertungsschritte nachvollziehbar und begründen das Bewertungsergebnis ausführlich. Makler-Bewertungen enthalten meist nur das Ergebnis ohne detaillierte Herleitung.
Fehlende Objektivität
Der strukturelle Interessenskonflikt macht objektive Bewertungen unmöglich. Makler können nicht neutral bewerten, da ihr wirtschaftlicher Erfolg vom Bewertungsergebnis abhängt.
Unvollständige Analyse
Makler-Bewertungen konzentrieren sich auf verkaufsrelevante Aspekte und vernachlässigen oft Faktoren, die für eine umfassende Wertermittlung wichtig sind.
Wann Makler-Einschätzungen dennoch wertvoll sind
Trotz aller Kritik haben Makler-Einschätzungen durchaus ihren Wert – allerdings nicht als objektive Gutachten:
Markteinschätzung
Erfahrene Makler kennen den lokalen Markt gut und können wertvolle Einschätzungen zur Verkaufbarkeit und zu Markttrends liefern.
Verkaufsstrategie
Makler können beraten, wie eine Immobilie optimal vermarktet werden kann und welche Zielgruppen angesprochen werden sollten.
Preispositionierung
Für die Festlegung des Angebotspreises können Makler-Einschätzungen hilfreich sein, sollten aber durch objektive Bewertungen ergänzt werden.
Verhandlungsführung
Makler können bei Preisverhandlungen wertvolle Unterstützung leisten und realistische Einschätzungen zu Verhandlungsspielräumen geben.
Empfehlungen für Immobilieneigentümer
Klare Trennung
Trennen Sie klar zwischen Verkaufsberatung und objektiver Wertermittlung. Nutzen Sie Makler für ihre Kernkompetenz – den Verkauf – aber verlassen Sie sich für objektive Bewertungen auf unabhängige Sachverständige.
Professionelle Bewertung vor Verkauf
Lassen Sie vor einem geplanten Verkauf ein unabhängiges Gutachten erstellen. Dies gibt Ihnen eine realistische Einschätzung des Marktwerts und schützt vor überhöhten Erwartungen.
Kritische Betrachtung von Makler-Bewertungen
Betrachten Sie Makler-Bewertungen kritisch und hinterfragen Sie die Motivation. Seien Sie skeptisch bei überdurchschnittlich hohen Bewertungen.
Mehrere Meinungen einholen
Holen Sie mehrere Meinungen ein, sowohl von Maklern als auch von unabhängigen Sachverständigen. Vergleichen Sie die Bewertungen und hinterfragen Sie große Abweichungen.
Dokumentation verlangen
Verlangen Sie von Maklern eine schriftliche Begründung ihrer Bewertung. Seriöse Makler sollten ihre Einschätzung nachvollziehbar erläutern können.
Die Rolle unabhängiger Sachverständiger
Objektive Bewertung
Unabhängige Sachverständige haben kein wirtschaftliches Interesse am Bewertungsergebnis und können daher objektiv bewerten. Ihre Vergütung ist unabhängig vom ermittelten Wert.
Wissenschaftliche Methoden
Sachverständige wenden wissenschaftlich anerkannte Bewertungsverfahren an und dokumentieren ihre Bewertung nachvollziehbar.
Rechtliche Anerkennung
Sachverständigengutachten werden von Gerichten, Behörden und Finanzinstituten anerkannt und haben rechtliche Bindungswirkung.
Umfassende Analyse
Sachverständige analysieren alle wertrelevanten Faktoren systematisch und berücksichtigen auch Aspekte, die für den Verkauf weniger relevant sind.
Kontinuierliche Fortbildung
Sachverständige müssen sich kontinuierlich fortbilden und ihre Kompetenz regelmäßig nachweisen.
Rechtliche Konsequenzen
Haftung von Maklern
Makler haften nur begrenzt für ihre Bewertungen, da diese nicht als professionelle Gutachten gelten. Bei fehlerhaften Sachverständigengutachten können hingegen Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden.
Verwendung in rechtlichen Verfahren
Makler-Bewertungen sind in rechtlichen Verfahren nicht verwertbar. Gerichte verlangen unabhängige Sachverständigengutachten.
Steuerliche Anerkennung
Finanzämter erkennen Makler-Bewertungen nicht als Nachweis für Verkehrswerte an. Für steuerliche Zwecke sind professionelle Gutachten erforderlich.
Internationale Perspektive
Standards in anderen Ländern
In vielen anderen Ländern ist die Trennung zwischen Verkauf und Bewertung noch strikter geregelt. In den USA beispielsweise dürfen Makler keine Bewertungen für Finanzierungszwecke erstellen.
Entwicklung in Deutschland
Auch in Deutschland wird die Diskussion über eine stärkere Regulierung geführt. Verbraucherschützer fordern eine klarere Trennung zwischen Verkaufsberatung und objektiver Bewertung.
Fazit
Der strukturelle Interessenskonflikt macht Makler-Bewertungen für objektive Wertermittlungen ungeeignet. Makler sind Verkaufsexperten, deren Einkommen direkt von erfolgreichen Transaktionen abhängt. Diese wirtschaftliche Abhängigkeit beeinflusst zwangsläufig ihre Bewertungen und macht sie für rechtliche, steuerliche oder finanzielle Entscheidungen unbrauchbar.
Für alle Situationen, in denen objektive, neutrale Wertermittlungen erforderlich sind, sollten ausschließlich unabhängige Sachverständigengutachten verwendet werden. Diese bieten Rechtssicherheit, Nachvollziehbarkeit und Objektivität – Eigenschaften, die Makler-Bewertungen strukturell nicht haben können.
Makler haben durchaus ihre Berechtigung im Immobilienbereich – als Verkaufsexperten und Marktkenner. Ihre Bewertungen sollten jedoch als das verstanden werden, was sie sind: verkaufsorientierte Einschätzungen, nicht objektive Gutachten.
Als DEKRA-zertifizierte Sachverständige für Immobilienbewertung stehe ich Ihnen für unabhängige, objektive und rechtlich belastbare Bewertungen zur Verfügung. Schützen Sie sich vor den Risiken interessengeleiteter Bewertungen und setzen Sie auf professionelle Expertise für Ihre wichtigen Vermögensentscheidungen.
Die Investition in ein unabhängiges Sachverständigengutachten zahlt sich in den meisten Fällen aus, da es vor kostspieligen Fehlentscheidungen schützt und eine solide Grundlage für alle wichtigen Immobilienentscheidungen bietet.
Rechtlicher Hinweis
Wichtiger Disclaimer: Die Inhalte dieses Blogs dienen ausschließlich der Information und Aufklärung. Als DEKRA-zertifizierte Sachverständige für Immobilienbewertung erstelle ich Immobiliengutachten. Ich bin nicht als Steuerberaterin tätig und darf keine Steuerberatung im Sinne des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) durchführen.
Für Steuerberatung wenden Sie sich an: Qualifizierte Steuerberater, Steuerberatungsgesellschaften oder Rechtsanwälte mit steuerrechtlicher Spezialisierung.